Grundsätze der benutzerzentrierten Gestaltung

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Was bedeutet es eigentlich, interaktive Lösungen auf die Benutzenden zu zuschneiden? Wie muss ich vorgehen, damit mein Produkt wirklich der benutzerzentrierten Gestaltung entspricht?

User Centered Design - Comic

Es kann festgehalten werden, dass es nicht DAS Vorgehen gibt. Im Rahmen einer Projektabwicklung sind es vielmehr einzelne Massnahmen bzw. Methoden die gezielt eingesetzt werden können, um ein Produkt “menschenzentriert” zu gestalten. Folgend möchte ich auf einige Grundsätze eingehen, die meiner Meinung nach erfüllt sein sollten, um mit gutem Gewissen von einer benutzerzentrierten Entwicklung zu sprechen:

1. Umfassendes Verständnis von Benutzenden, Aufgaben, Umfeld und System

Für die Entwicklung eines digitalen Produktes ist es wichtig, sich eben nicht nur auf mediumspezifische Aspekte (beispielsweise: Corporate Design konforme Umsetzung einer Lösung) einzulassen. Vielmehr ist es wichtig ein Grundverständnis für den Gesamtkontext aufzubauen. In diesem Zusammenhang hilft es, das einfach verständliche Model von Shackel B. (1991) beizuziehen:

Mensch-Maschine-Schnittstelle

Abbildung: Kontextverständnis nach Shackel, 1991

Die Kernaussage: Ein Benutzender erledigt mit einem Werkzeug, eine Aufgabe in einem bestimmten Umfeld.

Ein konkretes Beispiel: Ein älterer Herr (Benutzer) sucht in einer Bahnhofhalle (Umfeld), mit dem Smartphone (Werkzeug) nach Informationen zu verspäteten Fernverkehrszügen (Aufgabe). Betrachten wir die einzelnen Aspekte, mit allfälligen Einflussgrössen, etwas genauer an:

  • Benutzer: Der ältere Herr könnte wo möglich eine Sehschwäche haben. Vielleicht ist er auch nicht so geübt im Umgang mit einem Smartphone. Möglicherweise kommt man auch zum Schluss, dass es zuwenige Rentner mit Smartphone gibt, als man extra eine interaktive Lösung baut. Für wen wird das System schlussendlich optimiert?
  • Aufgabe: Finden von Informationen zu verspäteten Zügen. Hier gilt es natürlich sorgfältig abzuklären wie einer Suche aussehen könnte bzw. welche Kriterien für das schnelle Auffinden eben relevant sind.
  • Werkzeug: Für welche Geräte soll die Lösung optimiert werden. Gibt es Rahmenbedingungen bzw. Einschränkungen?
  • Umfeld: In einer Bahnhofshalle ist immer sehr viel los – insbesondere zu Stosszeiten. Viele Menschen, viel Hektik, Gedränge, Durchsagen, möglicherweise auch spezielle Lichtverhältnisse.

2. Die Benutzenden sind in den Entwicklungsprozess miteinbezogen

Wenn immer möglich sollten die Benutzenden in den Entwicklungsprozess aktiv miteinbezogen werden. Dieser Grundsatz liest sich als einfach umsetzbar, ist aber in der Praxis nicht immer einfach zu realisieren, da meist sehr zeitaufwendig. Beispielsweise können bei den folgenden Methoden die Benutzenden problemlos miteinbezogen werden:

  • Contextual Inquiry
  • Personas
  • Fragenbogen bei den Zielgruppen
  • Tagebuch-Methode
  • Card-Sorting im Rahmen von Workshops
  • Interviews
  • Evaluation von Wireframes und Prototypen

3. Tests als Grundlage für fortlaufende Optimierung

Etwas überzeichnet formuliert: Teste so oft wie möglich! Dabei soll die Lösung wenn immer möglich natürlich von denjenigen getestet werden, die schlussendlich auch mit dem System interagieren – also denjenigen Benutzenden wie man sie in der Analysephase als exemplarische Benutzende (Personas) festgelegt hat. Natürlich ist das in der Praxis nicht immer möglich, da womöglich Zeit, das Geld oder aber die Testpersonen fehlen. Hierzu muss geschrieben werden:

  • dass Tests nicht zwingend in einem Labor stattfinden müssen. Es reicht schon beispielsweise ein Laptop mit Screencapture in einem Sitzungszimmer aufzubauen und die Testsession zu begleiten. Diese Vorgehen kann relativ “spontan” und kostengünstig umgesetzt werden.
  • Um eine passende Testperson zu finden, kann man sich im bisherigen Kundenkreis umschauen – häufig finden sich motivierte Leute die gerne an einem solchen Test partizipieren. Zu empfehlen, jedoch mit einem Kostenaufwand verbunden, sind Recruitingservices wie www.testing-time.ch. Diese Services suchen einem anhand eines Profils die entsprechenden Personen. Und wenn gar nichts mehr geht, würde ich auf Personen auf dem Bekanntenkreis zurückgreifen. Besser so testen, als gar nicht testen!

4. Iterativer Prozess

Ergebnisse im Sinne des benutzerzentrierten Vorgehens entstehen nicht per Zufall. Sie sind validiert! Idealerweise nähert man sich dem Ziel in Schritten – also beispielsweise von den Wireframes, über die Prototypen oder Teilen des Systems, hin zu angestrebten Lösung. Hierzu eignet sich ein iteratives Vorgehensmodell sehr gut.

Gemäss DIN EN ISO 9241, Teil 210 gestaltet sich ein solcher Prozess wie folgt:

DIN EN ISO 9241-210: Wechselseitige Abhängigkeit menschzentrierter Gestaltungsaktivitäten.

Abbildung: DIN EN ISO 9241-210: Wechselseitige Abhängigkeit menschzentrierter Gestaltungsaktivitäten. Quelle: https://denkwerkzeuge.wordpress.com/tag/iso-norm-9241-210/

Analyse des Nutzungskontextes

Es werden Informationen über die künftigen Benutzenden zusammengetragen. Gleichzeitig werden die Aufgaben und Ziele der Benutzenden, die Arbeitsabläufe, die Arbeitsumgebung und die technischen Rahmenbedingungen systematisch erfasst.

Definition der Anforderungen

Aufgrund der Kontextanalyse werden die Anforderungen definiert, welche während des Entwurfsprozesses einzuhalten sind.

Konzeption und Lösungsentwurf

Die Konzepte für das zukünftige Produkte bzw. die umzusetzende Lösung werden aufgestellt. Diese Konzepte beinhalten zu einem möglichst frühen Zeitpunkt Skizzen, Designdokumente, Mockups, Papier-Prototypen etc.

Evaluation

Die realisierten Lösungen werden mit den Benutzenden besprochen bzw. getestet. Die Wireframes bzw. Prototypen sollten immer mehr konkretisiert bzw. verfeinert werden – von Low-Fidelity zu High-Fidelity. Mit diesem Vorgehen wird sichergestellt, dass die definierten Anforderungen auch wirklich eingehalten werden.

Iterationen – Prozessschritte Wiederholen

Und ja klar: Iteration kommt aus dem Lateinischen “itare” und bedeutet wiederholen. D.h. der allgemein beschriebene Prozess ist mehrfach zu wiederholen – mit gleicher oder ähnlichen Handlungen, im Sinne der oben beschriebenen Annäherung.

5. Berücksichtigung der gesamten User Experience

Auch wenn der Fokus der benutzerzentrierten Gestaltung auf der eigentlichen Lösung liegt, sollte das gesamte Anwendererlebnis (User Experience) immer im Auge behalten werden. Der Begriff User Experience umfasst alle Aspekte der Interaktion ein Benutzers mit einer Firma, ihren Dienstleistungen oder ihren Produkten. Er beschreibt Erwartungen, Wahrnehmungen und Reaktionen, die vor, während und nach der eigentlichen Nutzung auftreten [1].

6. Interdisziplinäres Team

In der Praxis zeigt sich, dass sich die besten Ergebnisse durch ein interdisziplinäres Team realisieren lassen. Natürlich kann dabei ein und dieselbe Person mehrere Funktionen wahrnehmen. Idealerweise gibt es folgende Funktionen innerhalb einer Projektumsetzung:

  • Usability Engineer
  • Requirements Engineer
  • Usability Tester
  • Information Architect
  • Interaction Designer
  • User Interface Designer

Quellen:

[1] [Procontext Blog, „Usability und User Experience unterscheiden“

 

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Über den Autor

Renato

Befasst sich als freiberuflicher Webworker in verschiedensten Themenfelder im Bereich der digitalen Medien. Benutzerzentriertes Vorgehen im Sinne der Mensch-Maschinen-Interaktion erachtet er bei all seinen Aktivitäten als zentrales Element. Weitere Informationen unter https://www.brainarium.ch.

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