Usability vs. User Experience

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Usability oder User Experience – was jetzt?

In der Praxis werden die beiden Begriffe “inflationär” angewendet bzw. bei verschiedensten Themen eingebracht. Dieser Blogartikel versucht sie beiden Begriffe wissenschaftlich korrekt zu definieren bzw. voneinander zu dividieren.

Begriffsdefinition Usability

Ob ein technisches bzw. interaktives System genutzt werden kann oder nicht, war in der Vergangenheit häufig davon abhängig, wie viele Funktionen es hatte und wie diese umgesetzt waren. Erst mit zunehmender Komplexität der Systeme kam die Dimension der «Benutzerfreundlichkeit» dazu. Dieses Begriffskonstrukt wurde im Verlauf durch den englischen Begriff «Usability» ersetzt, welcher neuzeitlich mit der deutschen Bezeichnung der «Gebrauchstauglichkeit» gleichgesetzt wird (Sarodnick & Brau, 2016, S. 19).

Jakob Nielsen hat den Begriff der Usability um die Jahrtausendwende massgebend mitgeprägt. Grundsätzlich vertritt Nielsen (2001, S. 9) die Meinung, dass jedes interaktive System ein Ziel bzw. einen konkreten Zweck anstrebt. Gute Usability zeigt sich folglich darin, ob ein interaktives System die Anwender bei der Erledigung von definierten Aufgaben zweckmässig und zielorientiert unterstützt. Mit schlechter Usability ist der Anwender konfrontiert, wenn er das Bedienkonzept nicht intuitiv erfassen kann. Als Folge schlechter Usability können die oben erwähnten Ziele des interaktiven Systems nicht erreicht werden bzw. der Anwender widmet sich einem anderen System (beispielsweise Website eines Konkurrenten) zu. Nielsen definiert Usability weiter als Qualitätsattribut, welches beschreibt, wie einfach eine Mensch-Maschinen-Benutzerschnittstelle zu bedienen ist. Nielsen weist Usability fünf massgebende Qualitätskomponenten zu, mit welchen eine Schnittstellen-Beurteilung möglich wird. Die „Learnability“ befasst sich mit dem Grad der Einfachheit, mit welcher ein Anwender grundlegende Aufgaben bei einem Erstkontakt mit einem System abwickelt. Die „Efficiency“ beinhaltet die Geschwindigkeit, mit welcher ein Anwender eine Aufgabe mit einem ihm vertrauten System ausführt. Mit „Memorability“ wird festgehalten, wie einfach es für einen Anwender ist, mit einem System zu interagieren, welches er bereits kennt aber über eine gewisse Zeitspanne nicht mehr verwendet hat. Als weitere Komponente hat Nielsen «Error» festgelegt. Error befasst sich mit der Anzahl Fehlern bzw. deren Schweregrad, wie sie im Umgang mit einem interaktiven System geschehen können. Als letzte Komponente nennt Nielsen die „Satisfaction“, welche umschreibt, wie zufrieden ein Anwender im Umgang mit einer Benutzerschnittstelle ist (Nielsen, 2003, S. 1-2).

Ähnlich wie Nielsen ordnen Dumas und Redish den Begriff Usability ein:

„Usability means that the people who use the product can do so quickly and easily to accomplish their own tasks“ (Dumas & Redish, 1999, S. 4)

Gegenüber Nielsen, gilt diese Definition aber nicht ausschließlich für Software-Produkte, sondern kann in einem breiteren Kontext eingesetzt werden. Analog zu Nielsen stehen auch bei Dumas und Redish die Anwender im Mittelpunkt, wenn es um die Beurteilung der Usability geht. Sie gehen davon aus, dass die Anwender ein Produkt einsetzen, um Aufgaben zu erledigen. Dabei möchten die Anwender möglichst produktiv sein, wobei diese Produktivität eben nicht nur die eigentliche Zielerreichung im Fokus hat, sondern auch die damit verbundenen Arbeitsschritte und die eingesetzte Zeit. In den Ausführungen von Dumas und Redish kommt explizit zum Ausdruck, dass die Anwender eines Produktes über den Grad der Gebrauchstauglichkeit entscheiden und nicht die Menschen, die bei der Produktentwicklung involviert waren (Dumas & Redish, 1999, S. 4ff).

Die einleitend erwähnten Sarodnick und Brau liefern eine Begriffsdefinition aus dem deutschsprachigen Sprachraum. Diese stützt sich auf die seit 1997 verfügbare Norm DIN EN ISO 9241, welche „[…] Usability als das Ausmass definiert, in dem ein technisches System durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Nutzungskontext verwendet werden kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen.“ (Sarodnick & Brau, 2016, S. 20). Die Beiden heben das Dreieck des einzusetzenden Systems, der zu erledigenden Aufgabe und der realen Anwender explizit hervor, die als Qualität der Zielerreichung die Usability aus Anwendersicht definiert. Dies begründen sie damit, als dass technische Systeme in eingebetteter Form (innerhalb von Prozessen) der Zielerreichung dienen sollen. Die Funktionalität eines Systems soll sich folglich an den Anforderungen des jeweiligen Prozesses ausrichten – und nicht umgekehrt (Sarodnick & Brau, 2016, S. 19-20).

Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass der Begriff der Usability kein genormter Begriff ist und es dementsprechend keine allgemein gültige Definition gibt. Einigkeit herrscht in der Literatur darin, dass Usability nicht direkt eine Produkteigenschaft ist, sondern ein Benutzungsattribut einer Anwenderinteraktion mit einem Produkt (z. B. interaktives System) darstellt. Usability muss folglich immer im Kontext seiner Verwendung beurteilt werden. Dabei stehen die Anwender immer im Zentrum. Diese Tatsache unterstreicht die Nähe von Usability zum User-Centered Design-Ansatz, bei welchem alle Handlungen zur Realisation von interaktiven Systemen von den Anwendern ausgehen. Die Verbindung ist insofern unabdingbar, als dass der Qualitätsgrad von Usability in den realen Anwendern entsteht.

Einstimmigkeit herrscht größtenteils darin, dass gute Usability kein „nice-to-have“ ist. Im Gegenteil: Usability gilt als Voraussetzung für erfolgreiche interaktive Systeme. Finden beispielsweise Anwender die Produkte in einem Shop nicht, so können sie diese auch nicht kaufen und suchen das gewünschte Produkt bei einem anderen Anbieter.

Begriffsdefinition User Experience

Der Begriff der User Experience (= UX) lässt sich am besten mit Nutzungserlebnis bzw. Nutzungserfahrung ins Deutsche übersetzen. „UX“ entsteht immer dann, wenn sich ein Anwender auf eine Produktinteraktion einlässt – dies können digitale oder physische Anwendungen sein (Richter & Flückiger, 2016, S. 12-13).

Garret umschreibt „UX“ als die Erfahrung, welche ein Anwender durch das Benutzen eines Systems sammelt. Folglich geht es bei „UX“ nicht um irgendwelche raffinierten technischen Funktionen, sondern wie das System nach aussen in der Gesamtbetrachtung auf den Anwender hin wirkt und welchen Eindruck es hinterlässt.

Bei der Gestaltung von Systemen mit guter „UX“ muss nach Garrett darauf geachtet werden, dass die ästhetischen und funktionalen Aspekte an die jeweilige Anwendung bzw. den Nutzungskontext angepasst werden. Umso komplexer ein System wird, umso schwieriger wird es festzuhalten ist es festzuhalten, welche Faktoren ausschlaggebend für eine gute „UX“ sind. Wird bei einem bestehenden System versucht, die „UX“ zu optimieren, so ist dies immer mit einer Effizienzverbesserung in Verbindung zu bringen. Effizienz meint in diesem Zusammenhang ein einfacheres, fehlerfreieres und dadurch schnelleres Arbeiten. Daraus resultiert eine höhere Produktivität, weniger Frust und als Folge davon mehr Spass bei der Arbeit.

Garrett geht gar so weit, als dass er der „UX“ mehr Gewichtung in der für die Geschäftsbeziehung wichtigen Kundenbindung schenkt als irgendwelchen Leistungsmerkmalen bzw. Funktionen (Garrett, 2012, S. 3-17).

Albert & Tullis weisen explizit darauf hin, dass „UX“ grundsätzlich in allen Lebenslagen anzutreffen und dadurch als Begriff nur schwer zu definieren ist. Nach ihnen entsteht „UX“ im Zusammenhang mit einem interaktiven System, wenn ein Anwender mit einem Produkt, einem System oder mit irgendeiner Mensch-Maschinen-Schnittstelle interagiert. Mit der Interaktion entwickelt der Anwender Erfahrungen, welche von Interesse, beobachtbar oder messbar sein müssen – wobei dies vor allem im Zusammenhang mit der Messbarkeit von „UX“ zu stellen ist (Albert & Tullis, 2013, S. 43-44).

Häufig werden die Begriffe der „UX“ und der Usability in der Praxis durcheinandergebracht. Sarodnik und Brau betrachten die Usability vereinfacht formuliert als Teilmenge der umfassenden „UX“. Bewertbare Usability wird immer während der Benutzung eines interaktiven Systems sichtbar und ist meist eher rational-funktionsbezogen. „UX“ hingegen umfasst zusätzlich vorweggenommene Aspekte (im Vorfeld der Interaktion), basierend auf Annahmen und Vorstellungen des Anwenders, sowie die gesammelten Erfahrungen nach der Benutzung des Systems. Folglich umfasst „UX“ das gesamte Anwendererlebnis und kann als deutliche Erweiterung von Usability betrachtet werden (Sarodnick & Brau, 2016, S. 22).

Hassenzahl et al. gehen noch einen Schritt weiter: «Langsam aber sicher wird der Begriff Usability durch „UX“ […] ersetzt.» (Hassenzahl & Burmester et al., 2008, S. 78). Weiter werden drei Charakteristiken genannt, die „UX“ auszeichnen bzw. über welche sich die Usability besser abgrenzen lässt:

  • Ganzheitlich: „UX“ ist eine ganzheitliche Sichtweise und betrachtet rationale wie auch emotional nicht-instrumentale Qualitäten, wogegen Usability hauptsächlich auf die Aufgaben des Anwenders fokussiert ist.
  • Subjektiv: „UX“ befasst sich mit der subjektiv wahrgenommenen Qualität eines Systems, da diese beeinflussend auf die weitere Verwendung bzw. auf die mit dem System verbundene Kommunikation wirkt. Usability-Methoden, wie beispielsweise Eye-Tracking, sind auf Objektivität bzw. Beobachtung ausgerichtet. Sie liefern immer indirekte Resultate.
  • Positiv: „UX“ ist gefühlsbetont und umfasst teils hoch emotionale Aspekte wie Freude, Schönheit, Attraktivität etc. Usability hingegen befasst sich mehrheitlich mit Stressverminderung und Mängelbehebung – versucht sich also in der Verminderung von negativen Momenten.

Hassenzahl et al. zeigen auf, dass mit Usability alleine keine ganzheitliche Zufriedenheit erreicht werden kann. Es fehlen die emotional nicht-instrumentalen Elemente, wie sie vom „UX“-Konzept geboten werden (Hassenzahl & Burmester et al., 2008, S. 78-79).

Bemerkenswert ist, dass „UX“ seit 2010 in einer ISO-Norm definiert ist. ISO 9241-210 beschreibt „UX“ als: „Wahrnehmungen und Reaktionen einer Person, die aus der tatsächlichen und/oder der erwarteten Benutzung eines Produkts, eines Systems oder einer Dienstleistung resultieren“. Dabei umfasst „UX“ […] „sämtliche Emotionen, Vorstellungen, Vorlieben, Wahrnehmungen, physiologischen und psychologischen Reaktionen, Verhaltensweisen und Leistungen, die sich vor, während und nach der Nutzung ergeben.“

Der „UX“-Begriff wird übermässig viel und in verschiedenen Kontexten in Literatur und auf Websites verwendet. So muss festgehalten werden, dass „UX“ insbesondere im populär-wissenschaftlichen Bereich, den Status eines «Buzzwords» längst erreicht hat. Eine Prüfung des Begriffs mit Google Trends bestätigt diesen Eindruck und zeigt das weiterhin steigende Interesse am Terminus. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass der „UX“-Begriff eigentlich erst ca. 20 Jahre alt ist, dafür aber in Bereichen angewendet wird, die enormen Innovationszyklen unterworfen sind – denken wir nur an die ersten kommerziellen Webangebote um die Jahrtausendwende über die Smartphone-Entwicklung bis hin zum heutigen Trend vom Internet der Dinge. Die rasende Entwicklung scheint den Begriff insofern strapaziert zu haben, als dass dieser sich hinsichtlich seiner Bedeutung über die Jahre stets gewandelt hat bzw. erweitert wurde. Weg von den eher technischen Aspekten hin zu Dimensionen wie Emotionen, Ästhetik und Spass im Umgang mit interaktiven Systemen – also Aspekte, die es in der technisch geprägten Systementwicklung früher nicht gab. Es reicht folglich nicht mehr, lediglich funktionierende Systeme zu bauen, die von den Anwendern verstanden bzw. bedient werden können. Vielmehr geht es im Sinne einer guten „UX“ darum, Systeme zu entwickeln, die einen positiven anhaltenden Gesamteindruck hinterlassen.

Literaturverzeichnis

Albert, W., & Tullis, T. (2013). Measuring the user experience: collecting, analyzing, and presenting usability metrics. Waltham: Elsevier.

Dumas, J. S., & Redish, J. (1999). A practical guide to usability testing. Exeter: Intellect Books.

Garrett, J. J. (2012). Die Elemente der User Experience: Anwender-zentriertes (Web-) Design. München: Pearson Education Deutschland.

Goodwin, K. (2011). Designing for the digital age: How to create human-centered products and services. Indianapolis: Wiley Publishing Inc.

Hassenzahl, M., Burmester, M., & Koller, F. (2008). Der User Experience (UX) auf der Spur: Zum Einsatz von www. attrakdiff. de. Usability Professionals, Hrsg.; Brau, H.; Diefenbach, S.; Hassenzahl, M.; Koller, F.; Peissner, M. Rose.

Nielsen, J. (2012). Usability 101: Introduction to usability. Nielsen Norman Group. Abgerufen von http://www.nngroup.com/articles/usability-101-introduction-to-usability/ [2016-10-12]

Nielsen, J. (2001). Designing Web Usability. Burgthann: Markt + Technik Verlag.

Richter, M., & Flückiger, M. D. (2016). Usability und UX. In Usability und UX kompakt. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag.

Sarodnick, F. & Brau, H. (2016). Methoden der Usability Evaluation. Wissenschaftliche Grundlagen und praktische Anwendungen. Bern: Verlag Hans Huber.

 

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Über den Autor

Renato

Befasst sich als freiberuflicher Webworker in verschiedensten Themenfelder im Bereich der digitalen Medien. Benutzerzentriertes Vorgehen im Sinne der Mensch-Maschinen-Interaktion erachtet er bei all seinen Aktivitäten als zentrales Element. Weitere Informationen unter https://www.brainarium.ch.

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